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Events

Beggie-Adoptionen beim Untereisenheimer Kulturherbst 18./19. 09. 2004

Teilnahme der Bettelnärrinnen beim 1. Internationalen Theaterfestival von attac in Halle im September 2004


Mittwoch, 15. Dezember 2004, 20.00 Uhr - Rudolf Alexander Schröder-Haus:

Das Bettelnarrenprojekt BEGSTAGE: RetrosBEGt & ProsBEGt
Mit Multimedia-Flashbeg und Live-Musik von den Singvøgeln! ... Und: Rede






Liebe Freundinnen, Förderinnen und vielleicht auch Kritikerinnen des Bettelnärrinnen-Projektes!

sowie gleichermaßen:

Liebe Freunde, Förderer und vielleicht auch Kritiker des Bettelnarren-Projektes!

Zur schöpferischen Rückbesinnung auf die Beg-in-Aktionswoche im August dieses Jahres möchte ich zunächst einmal alle Anwesenden hier im Rudolf-Alexander-Schröder-Haus herzlich begrüßen und mich bei Karan und Duke - den Singvøgeln - für das musikalische Entree bedanken. Und natürlich auch beim Hausmeister - äh! Meister dieses Hauses, der uns diesen Raum so freundlich zur Verfügung gestellt hat - Herr Prof. Petsch.

Die letzte Zeile des soeben gehörten Liedes mit dem Titel »Es ist soweit« lautet:

»wir werden aufsteh'n und schrei'n!«

Die Gründung der neuen Würzburger Erwerbslosen-Initiative hat Michael Kraus, der Sprecher von attac, auf einem Plakat mit dem »Schrei«, einem berühmten Bild des Malers Edvard Munch beworben. Nicht nur war die Gruppe attac eine unserer zuverlässigsten Mitstreiterinnen beim Projekt BEGSTAGE. Die Gründung der Erwerbslosen-Initiative ging praktisch Hand in Hand mit der »aufrührerischen« Bettelei der schöpferischen Zunft. Was niemanden verwundern wird, denn sicher werden unsere Politiker sogar den Schöpfer oder das Schöpferische an sich - auch Gott genannt - in Bälde wegrationalisieren (zu deutsch: wegvernünfteln), damit endlich alle wieder an ihn glauben müssen. Wer hätte gedacht, daß der ewige Kampf zwischen fides und ratio - zu deutsch: Glaube und Vernunft - einmal so enden würde? Die herrschende Politik ist eben auch nur Theologie, gutkirchliche (ich scheue mich, gutchristliche zu sagen) - und will das Volk in alter Manier nach wie vor auf's Kreuz legen, um es dann auch noch immer wieder hängen zu lassen. Das Volk, das Kreuz, und wenn's um's Rückgrat geht, kriegt die Politik eh den Hänger - und schon lange keinen mehr so richtig hoch. Zumindest immer weniger Wahlberechtigte. Doch, wie wir gerade mit Sang und Klang gehört haben: Es gibt gute Empfehlungen gegen die Macht der Horizontalen.  »Aufstehn, damit es besser wird«, rät auch ver.di, unsere geschätzte Sponsorin, die uns übrigens immer völlige Freiheit in jeder Hinsicht gelassen hat - was durchaus nicht bei allen Unterstützern einer Sache selbstverständlich ist, wie wir erfahren mußten. Die Gewerkschaften sind eben doch manchmal besser als ihr Ruf. Doch kehren wir zurück zum Schrei.

Einer der Höhepunkte der Bettelwoche - ich möchte fast sagen: DER Höhepunkt der Bettelwoche - war ebenfalls ein SCHREI: Der legendäre und markerschütternde Schrei von Ian Gillan aus dem Stück »Child in Time« von Deep Purple.  Jahrelang hat mich dieser Schrei umgetrieben, ja geradezu verfolgt, und ich wollte ihn immer künstlerisch umsetzen. Daß diese innere Notwendigkeit zuguterletzt in der Franziskus-Performance - einer Gemeinschaftsproduktion mit »Menschen für Tierrechte«  - Gestalt gewonnen hat, überrascht mich selbst - zumindest ein wenig. Da ich Künstlerin bin und das Bettelnarren-Projekt ja in nuce augenscheinlich für den gefährdeten Schutzraum der Künstler wirbt, müßte man eigentlich denken, daß der existenzielle Schrei eher in die Performance »Des Künstlers neue Kleider« hätte einfließen müssen. Warum ist es de facto anders gekommen? Nun, ich denke, das hat einen tieferen Grund.

Auch im 21. Jahrhundert hat der Mensch sein Verhältnis zum Tier immer noch nicht geklärt. Zum Tier, das nach mythologisch-religiöser Überlieferung vor ihm erschaffen wurde. Oder aber, naturwissenschaftlich gesehen: Aus dem er selbst enstanden ist. Wenn der Mensch sich besonders grob beschimpfen will, verwendet er gerne Tiernamen: Schwein, Ratte, Schlange,  Rindvieh, Schaf, Gans, Esel, Affe, Hundesohn. Kaum eine Gattung, die der Sohn Adams ausgelassen hat, um sich - auch verbal - eins überzubraten. Das unschuldig-naive, gattungsinterne Menschenopfer früher Kulturen wurde durch das kolonialistische, aggressiv übergreifende Tieropfer abgelöst, doch das von vielen verkannte und mißbrauchte Christentum hat es glücklicherweise wieder eingeführt: Christus ist das Lamm Gottes, das geschlachtet wird, um die Menschheit von der Schuld des Sündenfalls zu reinigen. Und indem die Menschen den Leib Christi essen (verspeisen-mampfen-spachteln-fressen-sich-einverleiben) vereinigen sie sich durch die heilige Kommunion mit dem fleischgewordenen Gott. Der, wohlgemerkt, ein LAMM in Menschengestalt ist. Haben wir das Christentum da falsch - oder hat das Christentum sich selbst nie richtig verstanden?! Warum hat eigentlich nie jemand gegen diese äußerst obskur erscheinende Form des Kannibalismus, die nur einen radikalen Tierrechtler zu Freudenschreien animieren kann, entrüstet aufbegehrt? Immerhin tönt diese Ungeheuerlicheit - sei sie nun symbolisch gemeint oder nicht (der gute Katholik sagt hier entschieden nein) - ja heute noch von allen Kanzeln und steht in allen Katechismen und Schulbüchern. Eine Quintessenz zumindest, die wir vorerst aus den seltsamen Lehren des Christentums ziehen können, ist die: Wenn das Wort tatsächlich Fleisch geworden ist, dann müßten die Menschen, die andere mit Tiernamen bezeichnen, diese eigentlich verspeisen und könnten so komplett auf unchristlichen Fleischkonsum verzichten. Das Problem der Massentierhaltung wäre gelöst und mit etwas Glück würde beim Verzehr des fleischgewordenen Wort-Tiers sogar der Mensch im Tier quasi als Skelett ganz wohlbehalten übrigbleiben. Noch besser wäre es natürlich, wenn der Mensch sich gänzlich auf das Verspeisen von Worten beschränken und beispielsweise Bücher verschlingen würde. Doch auch das giert schon wieder zu sehr nach Masse statt Klasse: EIN Buch würde schon genügen: Das Buch des Lebens.

Da der Mensch diese Kunst aber nicht mehr oder noch nicht beherscht, verschlingt inzwischen das Leben ihn und es bleibt nichts übrig von ihm als ein Skelett. Wenn Gott - resp. die ihn auf Erden stellvertretende Zunft: die aus dem Vollen und Ganzen (!) schöpfende Kunst - nicht ständig von der Gefahr bedroht wäre wegrationalisiert zu werden (wie vorhin schon erwähnt), könnte er bzw. seine Stellvertreter aus einer Rippe dieses mißratenen Knochenberges vielleicht mal wieder eine kleine Eva basteln. Denn an dieser Stelle ist ja nach der Überlieferung in grauer Vorzeit irgendetwas schiefgegangen.

Der ursprüngliche Androgyn, Adam Kadmon - der Männliches und Weibliches als EIN Ganzes in sich vereinte - wurde durch den Sündenfall  auseinandergerissen und in zwei Geschlechter getrennt, die daraufhin ständig damit beschäftigt waren und sind, sich zu kriegen - oder zu bekriegen. Eros, nach Sokrates das Kind von Armut und Reichtum, wird zwischen diesen beiden Polen hin- und hergerissen. Der Vater - oben - hat im Übermaß, die Mutter - unten - muß an der Untergrenze dahinvegetieren: Ein sprechendes Bild übrigens für das Nord-Süd-Gefälle. Das kann nicht gutgehen. Verlorene Gleichgewichte stürzen die Schöpfung - die immer »WERT«-Schöpfung ist! - in den Verlust des paradiesischen Friedens. Ja, der Krieg ist tatsächlich der Vater aller Dinge - die wir allerdings nicht brauchen.  Mit dem kosmischen Unfall der Geschlechterkreation wurde der Krieg geboren. »Cherchez la femme!« heißt das geflügelte Wort dazu, und es bedeutet: Sucht die Frau, die hinter jedem Krieg steckt. Der Trojanische Krieg ist das Paradebeispiel dafür. Und selbst Erdöl ist ein Produkt von Mutter Erde. Haben, haben, haben - lautet die Devise nach der genitalen Katastrophe, die selbstverständliches Benehmen in fremdbestimmtes Aus- und Einnehmen pervertiert. Das Fremde soll in Eigentum verwandelt werden. Jede Inbesitznahme eines Landes steht für die symbolische Inbesitznahme - die Vergewaltigung - einer Frau, denn das Land ist weiblich. Wie viel muß hier verdrängt worden sein, um eine so entfremdete Übertragung leisten zu können! Der Krieg ist nichts anderes als ein pervertierter Sexualakt, der seine Grenzen maßlos überschreitet.

Und was hat das jetzt alles mit Kunst zu tun? - wird manch einer jetzt vielleicht schon etwas ungeduldig fragen. Dieses feminismusverdächtige sex- und gender-Geschwafel. (Seht her, schon ist sie da, die Schublade!) Und mit Betteln? Und mit Politik? Und überhaupt - muß man denn unbedingt immer wieder bei Adam und Eva anfangen?!

Ja, man muß.

Es kann auf diese Frage nur ein unbedingtes JA geben. Wir sind es nicht mehr gewohnt, in großen Bezügen und immer an alles - im richtigen Zeitpunkt! - zu denken. Wir sind denkfaul geworden und haben beim Denken nicht mehr viel zu lachen, weil wir nicht mehr mit dem Zwerchfell denken (wo Platon noch den Sitz des Denkens lokalisierte), sondern uns beim Problemewälzen den Kopf zerbrechen. Wir sind mit Scheuklappen erzogen und sehen nicht, was links und rechts von uns passiert. Ich kann den programmatischen Satz:

»Wahre InSpiration sieht von Haus aus alles in allem.«

nicht oft genug wiederholen. Doch schon in der Schule steht an erster Stelle Leistung, Leistung, Leistung mit vielen Noten, Noten, Noten, gefolgt von kleinkariertem Kästchendenken, das bisweilen in Mathematik, Physik, Biologie und Chemie ausartet - und unter ferner liefen kommen Deutsch, Sozialkunde, Hüpfen, Malen, Singen und Religion für Gretchen Normalverbraucher. So war's zu meiner Zeit, und ich mußte mir jüngst sagen lassen, es soll schlimmer geworden sein. Wo ist die Disziplin, die alles im Innersten zusammenhält?!

Gäbe es sie nicht nur im Untergrund, sondern gesellschaftlich zentral verankert, stünde ich jetzt nicht hier, um ein Plädoyer für's Betteln zu halten. Übrigens hätte ich selbst auch nicht gedacht, daß mich das Buch, das ich vor etwa 10 Jahren über Till Eulenspiegel und den Tarot schrieb, ausgerechnet zur Beschäftigung mit dem Phänomen des Bettelns führen würde. Da war Franziskus von Assisi, die Leitfigur des Bettelnarrenprojektes, auch noch überhaupt kein Thema. Aber Bücher haben eben ihren eigenen Willen und ihren eigenen Sinn für Humor.

In dem soeben erwähnten Tarot-Spiel, einer uralten Sammlung archetypischer Symbolkarten, gibt es eine Karte - die Karte Nr. 14 - die den Namen KUNST trägt. Sie wird auch MÄSSIGKEIT, MASS und ALCHIMIE genannt. Es ist dort ein Engel abgebildet, der Flüssigkeit von einem Gefäß in ein anderes gießt. Und zwar, um es genau zu beschreiben, von einem oberen Gefäß in ein unteres - was unter den Bedingungen der Schwerkraft auch nicht anders möglich ist.

Nach Sallie Nichols, die eine an C.G. Jungs Archetypenlehre orientierte Auslegung des Tarot verfaßt hat, können wir in dieser Karte »den Anfang des Wassermannzeitalters in der Psyche sehen, das zur Wiederentdeckung des Menschen und seiner Welt als einer Ganzheit führt. Ursprünglich war das Wort "whole"  (ganz, heil) gleichbedeutend mit "heilig",«[1] und das Verb "heilen" bedeutete "heil machen", im Sinne von "ganz machen"«.

Da klingt er uns doch schon in den Ohren - der MEDICUS MENDICUS! - der Bettler als Arzt.

Nach meinem Verständnis von KUNST ist dies und nichts anderes die Aufgabe des Künstlers: ganz machen, heil machen, verlorenes Gleichgewicht wiederherstellen - und natürlich diesen Zustand vorher diagnostizieren. Niemand anderes als der Künstler ist der Arzt - und wenn der Arzt heilt, so heilt er als Künstler, und nicht als Arzt. Sonst wäre es ja völlig abwegig, die Heilkunst eine KUNST zu nennen. Aber nicht jeder Arzt ist ein Künstler und schon lange nicht jeder Künstler ist ein Arzt. Der eine versteht es, mittels bsw. Singen, Malen oder Tanzen zu heilen - der andere nicht.

Till Eulenspiegel, der so oft verharmloste wie verunglimpfte - auf jeden Fall verkannte Narr, war beides: Arzt und Künstler. Als selbsternannter, ultramoderner »Künstler«, den man am Hof des Landgrafen von Marburg für einen konventionellen Maler hielt, hat Eulenspiegel eben NICHT gemalt, sondern die Menschen den Bildern ihrer eigenen Imagination überlassen. Leider waren sie auf diesem Auge blind. Und in der nicht gerade schulmedizinischen - sondern wohl eher fool-medizinischen - Kurz-Heilung der Nürnberger Kranken hat er noch eins draufgesetzt: Er hat gezeigt, daß nackte Angst gepaart mit Egoismus wahre Wunder vollbringt. Auch die Arbeitsagentur ist auf diesen Trichter gekommen - und schon sieht man die erwerbslosen Staatskranken zur Arbeitsagentur kriechen, um die besten Ein-Euro-Jobs zu ergattern, damit die lahmen Übriggebliebenen die schlechten kriegen. Die geniale Alternative, kollektiv betteln zu gehen - aber richtig und bei den Richtigen! - kommt niemand.

Erstaunlicherweise hat unsere Idee des Bettelns anfänglich - in der Theorie - sehr viele Freunde gefunden. Es machte uns tatsächlich schon stutzig. Als es dann konkret wurde, begann einigen schließlich aufzugehen, daß ihnen das Betteln gar nicht so richtig gefällt. Betteln wird nach längerem Nachdenken oft als so entwürdigend empfunden, daß einige sogar lieber stehlen würden als zu betteln. Außer Otto, dem Bettler mit Standesehre, für den Betteln eine »Philosophie« ist. (Zitat!) Doch in den meisten Fällen macht schon das Bitten vielen Menschen großes Ungemach, weswegen denn auch Geben seliger denn Nehmen ist. Ein schöner Kapitalistenspruch! Deswegen heißt der Arbeitgeber ja auch Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Arbeitnehmer - und nicht etwa umgekehrt, wie's eigentlich korrekt wäre. Fakt ist: Geben können ist geil - nehmen müssen ist scheiße. Entgegen der landläufigen Meinung, daß alle immer nur nehmen und nicht geben wollen, ist es genau umgekehrt: Wer nimmt, wofür er vorher bitten muß - oder wer gar genommen werden will! - ist in der schwächeren  Position. Und alle wollen stark sein.

Da sind wir wieder beim zerrissenen Anrogyn angelangt: hier der postulierte starke Mann, dort die postulierte schwache Frau. Gegen dieses Modell wäre prinzipiell nicht das Geringste einzuwenden, wenn beide Positionen gleichberechtigt wären. Doch weit enfernt davon, ist die Stärke gesellschaftlich in jeder Hinsicht anerkannt, während die Schwäche fortwährend diskriminiert wird. Wir sind so sehr vom Geben dominiert und besessen, daß immer wieder die Frage gestellt werden kann: Ja, und der Bettler - was gibt er denn dafür, daß er nimmt? Was gibt er denn, was gibt er denn, was gibt er denn?! Ja, Herrgott, gibt's denn das? Meine Damen und Herren, lassen Sie sich ein für alle Mal gesagt sein: So wie es die Bestimmung der Arbeitnehmer und Frauen ist, genommen zu werden, so ist es die Bestimmung des Bettlers und der Bettlerin, zu nehmen. Aus. Basta. Fertig und Amen. Schnecken sind übrigens androgyn. Die haben all diese Probleme nicht.

Ich danke Ihnen!


Heike Pauline Grauf



[1] Sallie Nichols, Die Psychologie des Tarot, S. 320